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Wie du Studien im Bereich Ernährung richtig zitierst und einordnest

17. Juli 2025

  • Die Hierarchie der Evidenz ist entscheidend: Nicht jede Studie hat die gleiche Aussagekraft. Meta-Analysen und randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) liefern die stärksten Beweise.
  • Korrelation ist nicht Kausalität: Nur weil zwei Dinge gleichzeitig auftreten, bedeutet das nicht, dass das eine das andere verursacht. Dies ist einer der häufigsten Fehler bei der Interpretation von Ernährungsstudien.
  • Achte auf die Details: Wer hat die Studie finanziert? Wie viele Teilnehmer gab es und wie lange dauerte die Untersuchung? Wurde sie in einem seriösen Fachjournal veröffentlicht? Diese Fragen sind entscheidend für die Bewertung der Qualität.
  • Unterscheide relatives und absolutes Risiko: Schlagzeilen nutzen oft relative Risiken, um dramatisch zu klingen. Das absolute Risiko zeigt jedoch die tatsächliche Bedeutung für den Einzelnen und ist oft viel kleiner.
  • Eine einzelne Studie ist kein Beweis: Wissenschaftlicher Fortschritt entsteht durch die Gesamtheit der Forschung. Verlasse dich nicht auf eine einzelne, sensationelle Studie, sondern auf den wissenschaftlichen Konsens, wie er von Fachgesellschaften (z.B. DGE) vertreten wird.

Warum die kritische Bewertung von Ernährungsstudien so wichtig ist

„Kaffee schützt das Herz!“ – „Kaffee verursacht Herzrasen!“ – „Schokolade macht schlau!“ – „Zucker ist Gift!“. Kommen dir solche Schlagzeilen bekannt vor? Fast täglich werden wir mit neuen, oft widersprüchlichen Nachrichten aus der Welt der Ernährungsforschung konfrontiert. Das führt verständlicherweise zu Verwirrung und Frustration. Viele Menschen wissen nicht mehr, was sie glauben sollen und wem sie vertrauen können. Genau hier setzt die Fähigkeit an, Studien selbst kritisch zu hinterfragen und richtig einzuordnen. Es geht nicht darum, dass du zum Wissenschaftler wirst, sondern darum, dass du informierte und selbstbestimmte Entscheidungen für deine eigene Gesundheit treffen kannst.

Die Ernährungsforschung ist ein extrem komplexes Feld. Anders als bei einem Medikament, das man unter kontrollierten Bedingungen verabreicht, spielen bei der Ernährung unzählige Faktoren eine Rolle: genetische Veranlagung, Lebensstil, Umwelt, psychische Verfassung und die Wechselwirkung tausender verschiedener Substanzen in unserer Nahrung. Effekte zeigen sich oft erst nach Jahrzehnten. Deshalb ist es so wichtig, die Methodik hinter einer Studie zu verstehen. Dieser Artikel gibt dir das nötige Rüstzeug, um den medialen Dschungel der Ernährungsnews zu durchdringen, wissenschaftliche Fakten von Mythen zu unterscheiden und die Spreu vom Weizen zu trennen. So übernimmst du die Kontrolle über deine Ernährung, basierend auf solidem Wissen statt auf kurzlebigen Trends.

Die Hierarchie der Evidenz: Nicht jede Studie ist gleich viel wert

Eine der fundamentalsten Erkenntnisse der Wissenschaft ist, dass nicht jede Forschungsarbeit die gleiche Beweiskraft besitzt. Man spricht von der Hierarchie der Evidenz, die oft als Pyramide dargestellt wird. Je höher eine Studienart in dieser Pyramide angesiedelt ist, desto verlässlicher und aussagekräftiger sind ihre Ergebnisse in der Regel. Wenn du dieses Konzept einmal verstanden hast, kannst du Schlagzeilen und Forschungsergebnisse viel besser einordnen.

Die Spitze der Pyramide: Systematische Reviews und Meta-Analysen

Ganz oben stehen systematische Übersichtsarbeiten (Reviews) und Meta-Analysen. Stell dir vor, es gibt bereits zehn gute Studien zu der Frage, ob Vitamin D vor Erkältungen schützt. Eine Meta-Analyse fasst die Ergebnisse all dieser Studien nach strengen wissenschaftlichen Kriterien zusammen und berechnet einen Gesamteffekt. Sie liefert also quasi eine „Studie der Studien“. Dadurch werden Zufallsergebnisse einzelner, kleinerer Untersuchungen ausgeglichen und es entsteht ein sehr robustes und verlässliches Gesamtbild zum aktuellen Forschungsstand. Sie sind die stärkste Form der Evidenz.

Der Goldstandard: Randomisierte kontrollierte Studien (RCTs)

Direkt unter den Meta-Analysen stehen die randomisierten kontrollierten Studien, kurz RCTs. Sie gelten als der Goldstandard, um eine Ursache-Wirkungs-Beziehung nachzuweisen. Dabei wird eine Gruppe von Teilnehmern zufällig (randomisiert) in zwei oder mehr Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe erhält die Intervention (z.B. ein bestimmtes Lebensmittel oder einen Nährstoff), die andere Gruppe erhält ein Placebo oder eine Standardbehandlung (Kontrollgruppe). Da die Zuteilung zufällig erfolgt, sind andere Störfaktoren (wie Alter, Geschlecht, Lebensstil) im Idealfall gleichmäßig verteilt. So kann man am Ende mit hoher Sicherheit sagen, dass die beobachteten Unterschiede tatsächlich auf die Intervention zurückzuführen sind. In der Ernährung sind RCTs jedoch oft teuer, ethisch schwierig (man kann niemanden zwingen, sich 20 Jahre ungesund zu ernähren) und schwer über lange Zeiträume durchzuführen.

Siehe auch  Was Metaanalysen sind - und was sie leisten können

Das Fundament: Beobachtungsstudien

Die Basis der Pyramide bilden Beobachtungsstudien, zu denen Kohortenstudien und Fall-Kontroll-Studien gehören. Hier greifen Forscher nicht aktiv ein, sondern beobachten große Menschengruppen über lange Zeiträume. Eine Kohortenstudie könnte zum Beispiel die Ernährungsgewohnheiten von 50.000 Menschen erfassen und dann über 20 Jahre beobachten, wer welche Krankheiten entwickelt. Solche Studien sind extrem wertvoll, um Zusammenhänge (Korrelationen) aufzudecken. Sie können aber niemals eine Kausalität beweisen. Findet man heraus, dass Menschen, die viel Olivenöl verwenden, seltener Herzerkrankungen haben, kann das auch daran liegen, dass diese Menschen insgesamt gesünder leben, mehr Sport treiben oder weniger rauchen.

Hier ist eine Übersichtstabelle, die dir hilft, die wichtigsten Studientypen zu unterscheiden:

Studientyp Hauptmerkmal Aussagekraft (Evidenz) Typische Aussage
Meta-Analyse Statistische Zusammenfassung mehrerer hochwertiger Studien (oft RCTs) Sehr hoch „Die Gesamtheit der bisherigen Forschung zeigt, dass…“
Randomisierte Kontrollierte Studie (RCT) Zufällige Zuteilung zu Interventions- und Kontrollgruppe Hoch „Intervention A verursacht Effekt B.“
Kohortenstudie (Beobachtung) Beobachtung einer Gruppe über einen langen Zeitraum ohne Intervention Moderat „Ein hoher Konsum von A steht im Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für B.“
Tier- / Laborstudie Untersuchung an Tieren oder in Zellkulturen Niedrig (für den Menschen) „Substanz A zeigt im Tiermodell einen Effekt auf B.“ (Hypothesenbildung)

Die wichtigsten Prüfkriterien: Dein Leitfaden für den Faktencheck

Wenn du das nächste Mal eine Studie oder eine Nachricht darüber liest, nutze die folgende Checkliste, um ihre Vertrauenswürdigkeit zu bewerten. Diese Fragen helfen dir, schnell die entscheidenden Schwachstellen oder Stärken einer Untersuchung zu erkennen.

Wer hat die Studie durchgeführt und finanziert?

Dies ist eine der wichtigsten Fragen. Wissenschaft sollte objektiv sein, aber Forscher und Institutionen sind auf Finanzierung angewiesen. Eine Studie, die von einem Verband der Zuckerindustrie finanziert wird und zum Ergebnis kommt, dass Zucker unbedenklich ist, sollte dich zumindest stutzig machen. Das bedeutet nicht automatisch, dass die Ergebnisse gefälscht sind, aber es besteht die Gefahr eines Interessenkonflikts (Conflict of Interest). Seriöse Studien legen ihre Finanzierungsquellen transparent offen. Achte darauf, ob die Forschung von unabhängigen öffentlichen Einrichtungen (wie Universitäten oder staatlichen Forschungsinstituten) oder von Unternehmen mit kommerziellen Interessen finanziert wurde.

Wo wurde die Studie veröffentlicht?

Nicht jedes „Journal“ ist gleich. Der Goldstandard ist die Veröffentlichung in einem Peer-Review-Fachjournal. Das bedeutet, dass die Studie vor der Veröffentlichung von anderen unabhängigen Experten aus demselben Fachgebiet anonym begutachtet und auf methodische Mängel geprüft wurde. Dieses Verfahren ist eine wichtige Qualitätskontrolle. Vorsicht ist geboten, wenn Ergebnisse nur in einer Pressemitteilung, auf einer Konferenz oder in sogenannten „Predatory Journals“ (Raubjournalen), die gegen Bezahlung alles veröffentlichen, publiziert werden. Eine schnelle Suche nach dem Journalnamen gibt oft Aufschluss über dessen Reputation.

Wie groß war die Teilnehmerzahl und wie lange lief die Studie?

Die Größe der Stichprobe ist entscheidend für die statistische Aussagekraft. Eine Studie mit nur 20 Teilnehmern kann leicht zu Zufallsergebnissen führen. Je mehr Teilnehmer, desto wahrscheinlicher ist es, dass der beobachtete Effekt echt ist. Genauso wichtig ist die Dauer. Wenn eine Studie die Wirkung einer Diät auf das Risiko für Herzerkrankungen untersuchen will, ist eine Laufzeit von vier Wochen völlig unzureichend. Chronische Krankheiten entwickeln sich über Jahrzehnte, daher sind hier Langzeitstudien gefragt. Kurzzeitstudien können allenfalls kurzfristige Effekte auf Biomarker (wie Blutfettwerte) zeigen, aber keine Aussagen über die langfristige Gesundheit treffen.

Kausalität vs. Korrelation: Der häufigste Denkfehler

Das Konzept von Kausalität und Korrelation zu verstehen, ist vielleicht der größte Schritt zur wissenschaftlichen Mündigkeit. Es ist der häufigste Fehler, der bei der Interpretation von Studien gemacht wird – sowohl von Laien als auch von Journalisten. Eine Korrelation bedeutet lediglich, dass zwei Ereignisse oder Variablen in einem Zusammenhang stehen. Eine Kausalität bedeutet, dass ein Ereignis das andere direkt verursacht.

Ein klassisches Beispiel außerhalb der Ernährung: Im Sommer steigen die Verkaufszahlen von Eiscreme. Gleichzeitig steigt auch die Zahl der Hai-Angriffe. Hier besteht eine starke Korrelation. Wäre es nun logisch zu schlussfolgern, dass der Verzehr von Eiscreme Hai-Angriffe verursacht? Natürlich nicht. Es gibt einen dritten Faktor, einen sogenannten Störfaktor (Confounder): das warme Wetter. Es führt dazu, dass mehr Menschen Eis essen und mehr Menschen im Meer schwimmen, was das Risiko für Hai-Angriffe erhöht.

Siehe auch  Wie Medien Studienergebnisse oft verzerrt darstellen

Übertragen auf die Ernährung bedeutet das: Wenn eine Beobachtungsstudie feststellt, dass Menschen, die täglich ein Glas Rotwein trinken, eine höhere Lebenserwartung haben, ist die Sache nicht so einfach. Es besteht eine Korrelation. Aber ist der Rotwein die Ursache? Oder ist es so, dass Menschen, die sich moderaten Weingenuss leisten, tendenziell auch einen höheren sozioökonomischen Status haben, sich gesünder ernähren, mehr auf sich achten und weniger Stress haben? Diese Faktoren sind die wahrscheinlichere Erklärung. Beobachtungsstudien sind hervorragend, um solche Zusammenhänge aufzudecken und Hypothesen zu generieren. Um aber eine Kausalität zu beweisen, bräuchte man eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT), die in der Praxis aber oft nicht durchführbar ist.

Die Tücken der Datenerhebung in der Ernährungsforschung

Selbst die bestgeplante Studie steht und fällt mit der Qualität ihrer Daten. Gerade in der Ernährungsforschung ist die Datenerhebung eine besondere Herausforderung, die zu Ungenauigkeiten führen kann. Es ist wichtig, diese potenziellen Fehlerquellen zu kennen, um Studienergebnisse realistisch bewerten zu können.

Das Problem mit den Ernährungsprotokollen

Die meisten großen Beobachtungsstudien stützen sich auf die Angaben der Teilnehmer selbst. Das gängigste Instrument dafür sind Ernährungsfragebögen (Food Frequency Questionnaires, FFQs). Darin müssen die Teilnehmer angeben, wie oft sie bestimmte Lebensmittel in den letzten Monaten oder im letzten Jahr gegessen haben. Hier liegen gleich mehrere Probleme: Erinnerst du dich, wie oft du in den letzten sechs Monaten Brokkoli gegessen hast? Die meisten Menschen können das nur grob schätzen. Dieses Problem nennt man Recall Bias (Erinnerungsverzerrung).

Hinzu kommt der Social Desirability Bias: Menschen neigen dazu, einen gesünderen Konsum anzugeben, als er tatsächlich war. Man gibt eher an, den Salat gegessen zu haben, und „vergisst“ vielleicht die Tafel Schokolade am Abend. Diese systematischen und zufälligen Fehler bei der Selbstauskunft führen zu „Datenrauschen“ und können die wahren Zusammenhänge zwischen Ernährung und Krankheiten verschleiern oder sogar verfälschen. Sei also immer etwas skeptisch, wenn eine Studie ausschließlich auf solchen Fragebögen basiert.

Biomarker als objektivere Messgrößen

Um die Probleme der Selbstauskunft zu umgehen, nutzen Forscher zunehmend Biomarker. Das sind objektiv messbare Indikatoren im Körper, wie zum Beispiel die Konzentration von Vitaminen, Fettsäuren oder Mineralstoffen im Blut oder Urin. Anstatt zu fragen, wie viel Fisch jemand isst, kann man den Spiegel von Omega-3-Fettsäuren im Blut messen. Das ist deutlich genauer und nicht von der Erinnerung oder dem Wunschdenken der Teilnehmer abhängig. Allerdings sind auch Biomarker nicht perfekt. Sie sind oft teuer in der Analyse und spiegeln bei manchen Nährstoffen nur die Aufnahme der letzten Tage wider, nicht aber die langfristigen Gewohnheiten. Dennoch sind Studien, die zusätzlich zu Fragebögen auch Biomarker verwenden, in der Regel von höherer Qualität und Vertrauenswürdigkeit.

Absolutes vs. relatives Risiko: Wie Zahlen in die Irre führen können

Medien lieben dramatische Zahlen. Eine der wirkungsvollsten Methoden, um ein Ergebnis sensationeller klingen zu lassen, als es ist, ist die Verwendung des relativen Risikos anstelle des absoluten Risikos. Diesen Unterschied zu verstehen, ist ein entscheidender Schutz vor Panikmache.

Stell dir eine Schlagzeile vor: „Studie zeigt: Täglicher Konsum von Produkt X verdoppelt das Risiko für die seltene Krankheit Y!“. Eine Verdopplung klingt dramatisch und beängstigend. Das ist das relative Risiko (100% Anstieg).

Jetzt schauen wir uns das absolute Risiko an. Nehmen wir an, das normale Risiko, in seinem Leben an der seltenen Krankheit Y zu erkranken, liegt bei 1 von 10.000 Menschen. Das ist ein absolutes Risiko von 0,01%. Eine Verdopplung dieses Risikos durch den Konsum von Produkt X bedeutet, dass das Risiko auf 2 von 10.000 Menschen ansteigt. Das neue absolute Risiko beträgt also 0,02%. Der absolute Risikoanstieg ist also nur 0,01 Prozentpunkte. Das bedeutet, dass von 10.000 Menschen, die Produkt X konsumieren, eine Person zusätzlich erkranken würde. Das klingt schon deutlich weniger alarmierend, oder?

Beide Zahlen – die Verdopplung und der Anstieg von 1 auf 2 von 10.000 – sind mathematisch korrekt. Die Verwendung des relativen Risikos erzeugt jedoch eine viel stärkere emotionale Reaktion. Seriöse Berichterstattung und gute Studien geben immer beide Werte an oder zumindest die Basisrate, damit du die Relevanz der Ergebnisse selbst einordnen kannst. Frage dich also immer: Wie hoch ist mein Grundrisiko? Eine Verdopplung eines winzigen Risikos ist immer noch ein winziges Risiko.

Siehe auch  Warum Durchschnittswerte in Gesundheitsstudien nicht für alle gelten

Ein praktisches Beispiel: Analyse einer fiktiven Schlagzeile

Lass uns das Gelernte nun an einem fiktiven, aber realistischen Beispiel durchspielen. Du liest in einem Online-Magazin die Schlagzeile: „Sensationelle Studie beweist: Tägliche Einnahme von Blaubeer-Extrakt halbiert das Alzheimer-Risiko!“. Bevor du jetzt kiloweise Blaubeer-Kapseln kaufst, gehst du die Checkliste durch.

Schritt 1: Die Quelle und die Schlagzeile prüfen

Die Schlagzeile selbst ist schon ein Warnsignal. Das Wort „beweist“ ist in der Wissenschaft ein Tabu. Eine einzelne Studie beweist niemals etwas endgültig. Sie liefert Hinweise oder Evidenz. Die Formulierung „halbiert das Risiko“ deutet auf ein relatives Risiko hin – hier ist sofort Skepsis angebracht. Du suchst nach einem Link zur Originalstudie. Ist keiner vorhanden, ist das bereits ein schlechtes Zeichen. Findest du einen, klickst du drauf.

Schritt 2: Den Studientyp identifizieren

Im Abstract (der Zusammenfassung) der Studie suchst du nach Schlüsselwörtern. Du findest heraus: Es war eine Studie an Mäusen, die ein gentechnisch verändertes Modell für Alzheimer hatten. Damit ist die Aussagekraft für den Menschen extrem gering. Es ist eine Tierstudie, die ganz am unteren Ende der Evidenzpyramide steht. Sie kann allenfalls eine Hypothese für zukünftige Forschung am Menschen liefern. Wäre es eine Beobachtungsstudie an Menschen gewesen, müsstest du sofort nach Korrelation vs. Kausalität fragen. Wäre es eine kleine, vierwöchige RCT gewesen, wäre die Dauer für eine Krankheit wie Alzheimer viel zu kurz.

Schritt 3: Die Details hinterfragen

Angenommen, es wäre doch eine Humanstudie gewesen. Du würdest weiterfragen: Wer hat sie finanziert? Ein Hersteller von Blaubeer-Extrakt? Wie viele Teilnehmer gab es? 30 oder 30.000? Wie wurde die Alzheimer-Diagnose gestellt? Nur über Gedächtnistests oder auch durch Hirnscans? Wurden andere Lebensstilfaktoren wie Bildung, Ernährung und Bewegung berücksichtigt und statistisch herausgerechnet? Je mehr dieser Fragen unbeantwortet bleiben oder unbefriedigend beantwortet werden, desto schwächer ist die Studie.

Schritt 4: Das Ergebnis in den Gesamtkontext einordnen

Zuletzt fragst du dich: Passt dieses Ergebnis zum bisherigen wissenschaftlichen Konsens? Was sagen große Gesundheitsorganisationen zu Ernährung und Alzheimer? Du wirst feststellen, dass sie eine insgesamt gesunde, pflanzenbetonte Ernährung, Bewegung und geistige Aktivität empfehlen, aber kein einzelnes Wundermittel. Die Blaubeer-Studie ist also ein winziges Puzzleteil, dessen Relevanz noch durch viel mehr Forschung bestätigt werden müsste. Sie ist interessant, aber kein Grund, deine bisherigen Gewohnheiten über den Haufen zu werfen.

Die Rolle von wissenschaftlichen Gesellschaften und Konsenspapieren

Nachdem du nun gelernt hast, wie man einzelne Studien kritisch bewertet, stellt sich die Frage: Woran soll ich mich denn nun orientieren? Die Antwort liegt nicht in der Jagd nach der neuesten Einzelstudie, sondern im Verständnis des wissenschaftlichen Konsenses. Diesen Konsens findest du in den Leitlinien und Empfehlungen von großen, unabhängigen wissenschaftlichen Fachgesellschaften.

In Deutschland ist die wichtigste Anlaufstelle die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). International spielen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder renommierte Institutionen wie die Harvard T.H. Chan School of Public Health eine wichtige Rolle. Diese Organisationen beschäftigen Expertengremien, deren Aufgabe es ist, die gesamte verfügbare wissenschaftliche Literatur zu einem Thema – also hunderte oder tausende Studien – systematisch zu sichten, zu bewerten und daraus praktische Empfehlungen für die Bevölkerung abzuleiten.

Diese Empfehlungen basieren auf der stärksten verfügbaren Evidenz, also vor allem auf Meta-Analysen und großen, gut gemachten RCTs und Kohortenstudien. Sie berücksichtigen das Gesamtbild und lassen sich nicht von einzelnen, widersprüchlichen Ergebnissen aus der Bahn werfen. Daher sind die 10 Regeln der DGE oder der DGE-Ernährungskreis eine viel verlässlichere und sicherere Grundlage für eine gesunde Ernährung als jede reißerische Schlagzeile. Wissenschaft ist ein fortlaufender Prozess. Auch die Empfehlungen der DGE werden regelmäßig an den neuesten, gesicherten Forschungsstand angepasst. Wenn du dich an diesen offiziellen Leitlinien orientierst, bist du auf der sicheren Seite und baust deine Gesundheit auf einem soliden Fundament aus wissenschaftlicher Evidenz auf, anstatt jedem neuen Trend hinterherzulaufen.

kathi dreimuth

Die Autorin
Kathi ist unsere sportliche Allrounderin mit einem besonderen Faible für gesunde Ernährung und Bewegung. Wenn sie nicht gerade neue Rezepte ausprobiert oder auf dem Volleyballplatz steht, ist sie mit ihrem Labrador in der Natur unterwegs.