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Welche Muskeln du im Alltag fast nie trainierst

17. Juli 2025

  • Unser moderner Alltag, geprägt von langem Sitzen, führt zur Abschwächung wichtiger Muskelgruppen, insbesondere der Körperrückseite.
  • Vernachlässigte Muskeln wie die Rotatorenmanschette, die Gesäßmuskulatur und die hinteren Oberschenkel sind entscheidend für eine gute Haltung, Stabilität und die Vorbeugung von Schmerzen.
  • Muskuläre Dysbalancen entstehen, wenn bestimmte Muskeln (z. B. Brust) überbeansprucht und ihre Gegenspieler (z. B. oberer Rücken) vernachlässigt werden, was das Verletzungsrisiko erhöht.
  • Gezieltes Training der oft vergessenen Muskeln verbessert nicht nur die sportliche Leistung, sondern auch die Lebensqualität im Alltag durch weniger Schmerzen und mehr Kraft.
  • Einfache, gezielte Übungen lassen sich leicht in das bestehende Training oder als kurze Einheiten in den Tag integrieren, um den Körper wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Warum bestimmte Muskeln im Alltag verkümmern

Unser Körper ist ein Meisterwerk der Evolution, geformt für Bewegung, Vielfalt und Belastung. Der moderne Alltag sieht jedoch oft anders aus. Wir sitzen stundenlang am Schreibtisch, im Auto oder auf dem Sofa. Unsere Bewegungen sind häufig einseitig und repetitiv: das Tippen auf der Tastatur, das Bedienen der Maus oder das Tragen von Taschen auf derselben Schulter. Diese Lebensweise führt unweigerlich dazu, dass wir bestimmte Muskeln permanent nutzen, während andere kaum noch gefordert werden und regelrecht verkümmern.

Man spricht hierbei oft von muskulären Dysbalancen. Ein klassisches Beispiel ist das Verhältnis zwischen Brust- und Rückenmuskulatur. Durch die vorgebeugte Haltung am Schreibtisch verkürzt und verspannt die Brustmuskulatur, während die Muskeln des oberen Rückens, die für eine aufrechte Haltung zuständig sind, schwach und überdehnt werden. Sie werden im Alltag schlichtweg nicht gebraucht, um die Schultern aktiv nach hinten zu ziehen. Das Ergebnis sind die typischen „Büroschultern“, Rundrücken und oft auch Nackenschmerzen. Ähnliches passiert mit unserer Hüfte: Die Hüftbeuger verkürzen durch das ständige Sitzen, während die wichtige Gesäßmuskulatur „einschläft“ und an Kraft verliert. Diese vernachlässigten Muskeln sind jedoch keine unwichtigen Statisten, sondern die heimlichen Helden für einen schmerzfreien und funktionalen Körper.

Die unsichtbaren Helden: Die Bedeutung der vernachlässigten Muskeln

Jeder Muskel in unserem Körper hat eine spezifische Aufgabe und arbeitet selten allein. Das Konzept von Agonist und Antagonist, also Spieler und Gegenspieler, ist hier zentral. Während der Agonist eine Bewegung ausführt (z. B. der Bizeps, der den Arm beugt), muss der Antagonist (der Trizeps) kontrolliert nachgeben und die Bewegung stabilisieren. Ist der Gegenspieler zu schwach, kommt es zu einem Ungleichgewicht. Das Gelenk wird instabil, die Bewegungsführung unsauber und das Verletzungsrisiko steigt dramatisch an.

Die oft vernachlässigten Muskeln sind meist stabilisierende Muskeln oder die direkten Gegenspieler der im Alltag dominanten Muskelgruppen. Dazu gehören die Muskeln der Körperrückseite (die sogenannte hintere Kette), die tiefe Rumpfmuskulatur und kleine, aber entscheidende Muskeln rund um unsere Gelenke, wie die Rotatorenmanschette in der Schulter. Ein starker und ausbalancierter Körper ist wie ein stabiles Haus mit einem soliden Fundament. Fehlen tragende Wände oder sind sie brüchig, wird die gesamte Struktur instabil. Genau das passiert, wenn wir diese unsichtbaren Helden ignorieren. Die Folgen reichen von chronischen Rückenschmerzen über Knieprobleme bis hin zu Schulterverletzungen, die uns im Alltag stark einschränken können.

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Die hintere Kette: Dein vergessenes Kraftzentrum

Die hintere Kette (englisch: posterior chain) ist eine funktionelle Einheit von Muskeln auf der Rückseite deines Körpers. Sie reicht von den Waden über die hinteren Oberschenkel und die Gesäßmuskulatur bis hin zum Rückenstrecker. Im Alltag wird sie sträflich vernachlässigt, obwohl sie für Kraft, Stabilität und eine aufrechte Haltung von fundamentaler Bedeutung ist. Langes Sitzen deaktiviert diese Muskelgruppe systematisch.

Der Gesäßmuskel: Mehr als nur eine Sitzfläche

Der große Gesäßmuskel (Gluteus Maximus) ist der größte Muskel des menschlichen Körpers. Seine Hauptaufgabe ist die Hüftstreckung, die wir beim Aufstehen, Treppensteigen oder Springen benötigen. Da wir aber meist sitzen, ist er oft unterentwickelt. Noch wichtiger für die Stabilität sind seine kleineren Partner, der Gluteus Medius und Minimus. Diese seitlichen Gesäßmuskeln stabilisieren das Becken beim Gehen und verhindern, dass es bei jedem Schritt zur Seite kippt. Sind sie zu schwach, kann das zu Schmerzen im unteren Rücken und in den Knien führen.
Effektive Übungen: Kniebeugen, Kreuzheben, Hip Thrusts (Hüftstoßen), seitliches Beinheben im Liegen (Clamshells).

Die hinteren Oberschenkel (Beinbeuger)

Die Muskeln an der Vorderseite der Oberschenkel (Quadrizeps) benutzen wir ständig, zum Beispiel beim Aufstehen von einem Stuhl. Ihre Gegenspieler, die Beinbeuger (Hamstrings), sind für die Beugung im Knie und die Streckung in der Hüfte verantwortlich. Ein starkes Ungleichgewicht zwischen Vorder- und Rückseite ist eine der häufigsten Ursachen für Sportverletzungen, insbesondere Zerrungen und Knieprobleme. Ein gezieltes Training der Hamstrings ist daher kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit für gesunde Knie und mehr Leistung.
Effektive Übungen: Rumänisches Kreuzheben (Romanian Deadlifts), Good Mornings, Beincurls am Gerät oder mit einem Gymnastikball.

Starke Schultern, gesunder Rücken: Die Rotatorenmanschette und der obere Rücken

Schulterschmerzen sind eine Volkskrankheit. Oft liegt die Ursache nicht im Schultergelenk selbst, sondern in der Muskulatur, die es umgibt und stabilisiert. Hier stehen zwei Gruppen im Fokus, die im Alltag fast nie gezielt trainiert werden, obwohl sie für die Schultergesundheit unerlässlich sind.

Die filigrane Rotatorenmanschette

Die Rotatorenmanschette ist keine einzelne Manschette, sondern eine Gruppe von vier kleinen, aber extrem wichtigen Muskeln, die den Oberarmkopf in der Gelenkpfanne zentrieren. Sie ermöglichen die Rotation des Armes nach innen und außen. Durch unsere vorwiegend nach vorne gerichteten Alltagsbewegungen (Tippen, Autofahren) wird die Außenrotation fast nie trainiert. Die Innenrotatoren werden hingegen stärker und ziehen die Schulter nach vorne. Dieses Ungleichgewicht kann zum sogenannten Impingement-Syndrom führen, bei dem Sehnen im Schultergelenk eingeklemmt werden und Schmerzen verursachen. Ein gezieltes Training der Außenrotatoren mit leichten Gewichten oder einem Theraband ist die beste Prävention.
Effektive Übungen: Außenrotation am Kabelzug oder mit dem Band, Face Pulls.

Der obere Rücken: Dein Schutzschild gegen den Rundrücken

Die Muskeln zwischen den Schulterblättern, insbesondere die Rhomboiden und die mittleren und unteren Anteile des Trapezmuskels, sind die direkten Gegenspieler der Brustmuskulatur. Ihre Aufgabe ist es, die Schulterblätter aktiv nach hinten und unten zu ziehen. Sie richten die Brustwirbelsäule auf und sorgen für eine stolze, offene Haltung. Im sitzenden Alltag sind sie jedoch permanent gedehnt und inaktiv. Ein Training dieser Muskeln bekämpft aktiv den Rundrücken, lindert Nackenschmerzen und verbessert die gesamte Körperstatik. Jede Form von Rudern ist hier Gold wert.
Effektive Übungen: Vorgebeugtes Rudern mit Lang- oder Kurzhanteln, Rudern am Kabelzug, Klimmzüge, Band Pull-Aparts.

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Der Rumpf: Mehr als nur ein Sixpack

Wenn die meisten Menschen an Bauchmuskeltraining denken, haben sie Sit-ups und Crunches im Kopf. Diese Übungen trainieren primär den geraden Bauchmuskel (Rectus Abdominis), also das sichtbare Sixpack. Doch für einen stabilen und schmerzfreien Rücken sind die tiefer liegenden Rumpfmuskeln weitaus wichtiger. Diese Muskeln werden im Alltag kaum bewusst angesteuert und benötigen gezielte Stabilisationsübungen.

Der wichtigste dieser tiefen Muskeln ist der querverlaufende Bauchmuskel (Transversus Abdominis). Er legt sich wie ein Korsett um deine Taille und stabilisiert die Lendenwirbelsäule von innen. Wenn du ihn anspannst, erzeugt er einen inneren Druck, der die Wirbelsäule schützt – insbesondere bei Belastung, wie dem Heben schwerer Gegenstände. Auf der Rückseite arbeiten die kleinen, tiefen Multifidi-Muskeln, die die einzelnen Wirbelkörper miteinander verbinden und für feine Stabilität sorgen. Sind diese tiefen Muskeln schwach, muss die oberflächliche Muskulatur (wie der Rückenstrecker) die Stabilisierungsarbeit übernehmen, wofür sie nicht gemacht ist. Das Resultat sind Verspannungen und chronische Rückenschmerzen. Übungen, die den Rumpf gegen eine Bewegung stabilisieren müssen (Anti-Extension, Anti-Rotation), sind hier der Schlüssel zum Erfolg.

Effektive Übungen: Plank (Unterarmstütz) und Variationen, Bird-Dog, Pallof-Press, Dead Bug.

Feste Waden und bewegliche Füße: Das unterschätzte Fundament

Unsere Füße und Unterschenkel tragen uns durchs Leben, doch im Training erhalten sie oft die geringste Aufmerksamkeit. Dabei ist ein starkes Fundament entscheidend für die gesamte Körperstatik und die Kraftübertragung bei fast jeder Bewegung. Schwächen in diesem Bereich können sich bis in die Knie, die Hüfte und sogar den Rücken fortpflanzen.

Der vordere Schienbeinmuskel (Tibialis Anterior)

Dieser Muskel an der Vorderseite des Schienbeins ist für das Anheben des Fußes verantwortlich. Er ist der direkte Gegenspieler der starken Wadenmuskulatur. Ein Ungleichgewicht, bei dem die Wade viel stärker ist, kann zu Problemen wie dem Schienbeinkantensyndrom (Shin Splints) führen, das besonders bei Läufern gefürchtet ist. Ein schwacher Tibialis Anterior kann auch das Risiko für Stolpern erhöhen, da der Fuß nicht mehr sauber angehoben wird. Das bewusste Anheben der Zehen gegen einen Widerstand oder einfach nur im Sitzen kann diesen wichtigen Muskel gezielt kräftigen.
Effektive Übungen: Zehenheben (sitzend oder stehend, ohne Gewicht oder mit einer Hantel auf den Knien).

Die Wadenmuskulatur (Gastrocnemius & Soleus)

Die Waden bestehen aus zwei Hauptmuskeln. Der Gastrocnemius ist der sichtbare, herzförmige Muskel, während der Soleus tiefer liegt. Beide sind für das Strecken des Fußes (Plantarflexion) zuständig. Der Gastrocnemius arbeitet hauptsächlich bei gestrecktem Knie, der Soleus hingegen bei gebeugtem Knie. Viele trainieren nur stehendes Wadenheben und vernachlässigen so den Soleus komplett. Dieser ist aber extrem wichtig für die Ausdauer beim Gehen und Laufen sowie für die Stabilität des Sprunggelenks.
Effektive Übungen: Wadenheben im Stehen (für den Gastrocnemius), Wadenheben im Sitzen (für den Soleus).

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Integrationsplan: Ein ausbalanciertes Training gestalten

Die Erkenntnis über vernachlässigte Muskeln ist der erste Schritt. Der zweite, entscheidende Schritt ist die Integration der richtigen Übungen in deine Routine. Das Ziel ist nicht, das bisherige Training komplett umzuwerfen, sondern es intelligent zu ergänzen, um Dysbalancen gezielt auszugleichen. Die meisten dieser Übungen erfordern keine schweren Gewichte, sondern eine saubere und bewusste Ausführung.

Du kannst die Übungen auf zwei Arten einbauen: Einige eignen sich hervorragend als Teil deines Aufwärmprogramms. Aktivierungsübungen für die Gesäßmuskulatur (z. B. Clamshells) oder die Rotatorenmanschette (z. B. Außenrotation mit dem Band) bereiten die Gelenke optimal auf die Belastung vor und „wecken“ die schlafenden Muskeln auf. Andere, anspruchsvollere Übungen wie Rumänisches Kreuzheben oder Hip Thrusts sollten als feste Bestandteile in dein Krafttraining integriert werden. Beginne mit wenig Gewicht und konzentriere dich voll und ganz auf die Muskelspannung und die korrekte Technik. Zwei bis drei Sätze pro Übung, ein- bis zweimal pro Woche, können bereits einen enormen Unterschied machen.

Beispiel für eine wöchentliche Ergänzung

Die folgende Tabelle zeigt, wie du die wichtigsten Übungen einfach in eine bestehende Trainingswoche integrieren kannst.

Muskelgruppe Übung Sätze & Wiederholungen Anmerkung
Rotatorenmanschette Außenrotation mit Theraband 2 Sätze, 15-20 Wdh. Ideal als Teil des Aufwärmens vor jedem Oberkörpertraining.
Oberer Rücken Face Pulls 3 Sätze, 12-15 Wdh. Am Ende einer Trainingseinheit oder an Rückentagen.
Seitliche Gesäßmuskulatur Clamshells (Muschel) 2 Sätze, 15-20 Wdh. pro Seite Perfekt zum Aufwärmen vor jedem Beintraining.
Hintere Oberschenkel Rumänisches Kreuzheben 3 Sätze, 8-12 Wdh. Hauptübung am Beintag. Technik ist entscheidend!
Tiefer Rumpf Plank (Unterarmstütz) 3 Sätze, 30-60 Sek. halten Kann an jedem Trainingstag oder separat trainiert werden.

Der Lohn der Mühe: Die langfristigen Vorteile eines ausbalancierten Körpers

Das gezielte Training der vernachlässigten Muskeln ist mehr als nur eine Korrekturmaßnahme. Es ist eine Investition in deine langfristige Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Lebensqualität. Anfangs mag es sich ungewohnt anfühlen, Muskeln zu spüren, von deren Existenz du kaum wusstest. Doch die Belohnung für deine Mühe ist immens und geht weit über die Ästhetik hinaus.

Der wohl wichtigste Vorteil ist die massive Reduzierung des Verletzungsrisikos. Stabile Gelenke und ein muskuläres Gleichgewicht schützen dich nicht nur im Sport, sondern auch bei alltäglichen Belastungen wie dem Heben einer Wasserkiste oder einem schnellen Sprint zum Bus. Deine Körperhaltung wird sich sichtbar verbessern. Anstatt mit hängenden Schultern dazustehen, wirst du eine natürliche Aufrichtung entwickeln, die nicht nur gesünder ist, sondern auch Selbstbewusstsein ausstrahlt. Chronische Schmerzen, insbesondere im Rücken-, Nacken- und Kniebereich, können sich deutlich verringern oder sogar komplett verschwinden. Letztendlich wirst du feststellen, dass du in allen Lebensbereichen leistungsfähiger wirst. Dein Körper arbeitet als harmonische Einheit, was dir mehr Kraft und Ausdauer für alles gibt, was du liebst – sei es dein Hobby, dein Sport oder einfach nur das aktive Spiel mit deinen Kindern.

kathi dreimuth

Die Autorin
Kathi ist unsere sportliche Allrounderin mit einem besonderen Faible für gesunde Ernährung und Bewegung. Wenn sie nicht gerade neue Rezepte ausprobiert oder auf dem Volleyballplatz steht, ist sie mit ihrem Labrador in der Natur unterwegs.